Eine letzte Würdigung des Toten oder doch nur reine Selbstdarstellung?

Von Kristin Jung und Jutta Maier (Universität Siegen, 24.07.2019)

Der folgende Beitrag handelt von der Identifizierungspraktiken und Authentifizierungspraktiken in und um Todesanzeigen. Der historische Hintergrund, ein kultureller Vergleich sowie der gesellschaftliche Einfluss werden thematisiert und lassen die Todesanzeige unter neuen Gesichtspunkten betrachten.

Die Bedeutung und Relevanz des Todes in einer Gesellschaft

Der Glauben und die Religion haben dem Tod eine große Macht in verschiedensten Gesellschaften unserer Erde gegeben (Stöhr 2014: 24). Was jedoch keiner weiß – wie es nach dem Tod weiter geht, geschweige denn wann der Tod einen einholt. Was jedoch alle von uns wissen: Zu einem gewissen Zeitpunkt wird jeder Mensch sterben und somit als lebendig wiedererkennbare Identität aus einer Gesellschaft gelöscht werden.

Dieser Blogeintrag beschäftigt sich mit der Frage nach Identifizierungs- und Authentifizierungspraktiken von Verstorbenen am Beispiel von Todesanzeigen. Uns haben sich diesbezüglich drei Forschungsfragen gestellt, auf denen der Eintrag aufbaut.

  • Welche Informationen werden benötigt, um sicherzustellen, dass es sich in der Todesanzeige um Person XY handelt?
  • Wie wird kommunikativ vermittelt, dass Person XY tot ist?
  • Liegt der Fokus einer Todesanzeige hauptsächlich auf der Bekanntmachung des Todes einer identifizierten Person?

Als Datenmaterial des Forschungsprojektes dienen 23 gesammelte Todesanzeigen der Siegener Zeitung zwischen dem 3.5.2019 bis zum 8.5.2019, ein Interview mit einem Angestellten der Siegener Zeitung als Aufgeber von Inseraten, eine Broschüre des Interviewpartners über das Design von Todesanzeigen (welche den Angehörigen eines Verstorbenen vorgelegt werden) und eine Literaturrecherche.  

Identifizierung in Todesanzeigen

Eine Identifizierung einer bestimmten Person wird erfahrungsgemäß heutzutage hauptsächlich an personenbezogenen Daten durchgeführt. Daher stellt sich die Frage, ob in einer Todesanzeige ebenfalls bestimmte Daten gebraucht werden, die für einen deutlichen Wiedererkennungswert/ Identifizierungsfaktor einer verstorbenen Person sorgen. Wodurch können wir sicher gehen, dass es sich in der Todesanzeige wirklich um Person XY handelt? Laut eines Mitarbeiters der Siegener Zeitung, der unter anderem zuständig für die Inserate und somit auch für die Todesanzeigen ist, kommen die folgenden Daten in fast jeder Todesanzeige vor:  Name, Geburtsdatum, Todestag, Adresse, Namen der Angehörigen. Zwingend notwendig für die Anzeige sind allerdings lediglich der Vor- und Zuname, das Geburts- und Todesdatum.

Hypothese 1: Es gibt gesellschaftliche Normen, nach denen die Todesanzeigen erstellt werden.


Abbildung 1 Beispiel Todesanzeige der Siegener Zeitung vom 4. Mai 2019

Die Gestaltung der Todesanzeige ist nicht an staatliche Regeln gebunden, was dem Anzeigenaufgeber Raum für eine individuelle Anzeigengestaltung gibt. Allerdings wurde innerhalb dieses Projekts festgestellt, dass die Todesanzeigen in der Regel doch recht einheitlich gestaltet werden. Beispielsweise die Redewendung „In tiefer Trauer“ kommt wiederholt in den untersuchten Todesanzeigen vor (Siehe Abb.1). Ein Grund für die ähnliche Aufmachung ist unter anderem der Preis, der sich aus der Anzahl von Spalten und Reihen zusammensetzt. Zusätzlich spielt auch die emotionale Verfassung des Anzeigenstellers eine wichtige Rolle, denn die Anzeige selbst erscheint normalerweise kurz nach dem Todestag und nicht jeder ist in der Lage oder hat Lust, sich ausgiebig mit der Gestaltung zu beschäftigen. Daher vereinfachen die Vorlagen, Beispiele, Preislisten und Beispielzitate/ -Psalmen aus dem Beispielheft der Tageszeitungen den Prozess enorm für die Angehörigen, wodurch sich die Todesanzeigen aber letzten Endes in der Grafik- und Textgestaltung wieder sehr ähneln. Somit sind Todesanzeigen hinsichtlich der Identität des Verstorbenen, beziehungsweise der Identifizierung des Toten durch den Hinterbliebenen über die Grunddaten hinaus nicht mehr besonders aussagekräftig. In dem Interview mit dem Angestellten der Siegener Zeitung erklärte er uns, dass viele Menschen nicht wissen, wie sie die Anzeige aufgeben sollen. Deswegen soll das Todesanzeigenheft in erster Linie Unterstützung bieten. Die Todesanzeige könnte dementsprechend mehr über den Anzeigenaufgeber aussagen (als über den Verstorbenen), was unser Projekt zur zweiten Hypothese führt.

Hypothese 2: Die Funktion der Todesanzeige beinhaltet mehr als nur die Bekanntmachung des Todes.

Wer sich eine Todesanzeige ansieht, hat zunächst den Eindruck, als ob es primär um das Ausscheiden der verstorbenen Person geht. Doch das Forschungsprojekt hat gezeigt, dass es um weitaus mehr geht in einer Todesanzeige als die reine Darstellung und Identifizierung des Toten.

Der Anzeigenaufgeber, der in der Regel ein Angehöriger oder Bekannter des Verstobenen ist, realisiert mit der Schaltung und Gestaltung der Todesanzeige eine Fremdpositionierung in zweierlei Hinsicht. Einmal wird der Verstorbene in seiner ihm gewidmeten Todesanzeige fremdpositioniert und er kann dieser Positionierung weder mit Zustimmung, noch Ablehnung begegnen. Zweitens findet eine Positionierung der Angehörigen/Verwandten/Freunde statt, die in der Anzeige mit erwähnt werden. Dies geschieht in Form der hierarchischen Auflistung in der Todesanzeige und die bewusste Erwähnung oder gar Auslassung eines Hinterbliebenen.


Abbildung 2 Beispiel Todesanzeige einer Firma in der Siegener Zeitung vom 4. Mai 2019

Darüber hinaus positioniert sich der Anzeigenersteller im Kontext der Todesanzeige zusätzlich selbst, in dem er sich gegebenenfalls miterwähnt und auch bei der Gestaltung (un-) bewusst weitestgehend seinen Vorstellungen nachgeht, denn die müssen nicht unbedingt den Vorstellungen des Toten entsprechen. Daher könnte wie vorab angesprochen behauptet werden, dass es in einer Todesanzeige auch viel um die Identifizierung des Anzeigenstellers geht, denn er hat beispielsweise das Zitat / den Psalm / (christliche) Symbole und die Anordnung der Namen danach ausgesucht, wie er sie selbst für angemessen hält. Ähnliches lässt sich vermuten, wenn Todesanzeigen betrachtet und vom ehemaligen Arbeitgeber geschaltet werden. Dort ist oft der Firmenname genauso groß oder gar größer als der Name des Verstorbenen. Einen Sonderfall in der Selbst- und Fremdpositionierung bilden sogenannte Selbstanzeigen, die von den Verstorbenen vorab selbst geschrieben wurden. Das ist allerdings eine seltene Form der Todesanzeige. Ein Beispiel dafür wäre: „Allen Nahestehenden zur Kenntnisnahme, dass ich (Name) am… dankbar und zufrieden die Welt verlassen habe“ (Eckkrammer 1996: 17).

Hypothese 3: Die Funktion und Form der Todesanzeige hängt von der soziokulturellen Gesellschaft ab und ändert sich mit der Zeit.

Können Todesanzeigen also sogar etwas über die Identität einer Gesellschaft aussagen? Ausgehend von dieser Fragestellung wurde innerhalb dieses Projekts ein Einblick in andere Kulturen geworfen. Da keine gesetzlichen Regelungen darüber bestehen, sind kulturelle Eigenheiten möglich und können Hinweise auf gesellschaftliche, politische und religiöse Gegebenheiten des Landes geben. Ein Beispiel wird in dem Werk Die Todesanzeige als Spiegel kultureller Konventionen: eine kontrastive Analyse deutscher, englischer, französischer, spanischer, italienischer und portugiesischer Todesanzeigen von Eva Martha Eckkrammer (1996) gegeben: Aus französischen, spanischen, deutschen, portugiesischen, englischen und italienischen Todesanzeigen wurde ein Korpus erstellt und dieses kontrastiv ausgewertet. Dabei ist unter anderem herausgekommen, dass in den Todesanzeigen der romanischen Kulturen lediglich 40% der Anzeigen weiblichen Verstorbenen gewidmet waren (Eckkrammer 1996: 31). Dieser Prozentsatz könnte ein Indiz für eine weibliche Diskriminierung sein, welche weiter erforscht werden kann. Ebenso wurde festgestellt, dass die deutschen Todesanzeigen im Vergleich meist größer ausfallen, in englischsprachigen Kulturräumen werden die Todesanzeigen eher schlicht und einfach gehalten. Ein Blick auf die digitale New York Times hat nach eigener Recherche gezeigt, dass hier die Todesanzeigen zum Beispiel eher indexartig und in alphabetischer Reihenfolge dargestellt werden (siehe Abb.3).


Abbildung 3 Beispiel Todesanzeigen NY Times über: https://www.legacy.com/obituaries/nytimes/ aufgerufen am: 01.07.2019

Auch unter Betrachtung des zeitlichen Wandels hat sich gezeigt, dass sich die Verkündung des Todes in ihrer Medialität verändert hat. Die Todesanzeige in schriftlicher Ausführung, wie wir sie aus Tageszeitungen kennen, gibt es erst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Davor haben oft sogenannte Totenfrauen (oder auch Leichenfrauen) die Todesnachricht in Form eines Gedichtes überbracht und direkt zum Begräbnis eingeladen (Stöhr 2014: 35) Dieses Verfahren war noch bis in die 1970er Jahre verbreitet. Ab 1800 mit steigendem Aufkommen von Tageszeitungen stieg auch die Anzahl der Todesanzeigen als schriftlicher Form der Nachrichtenüberbringung, zunächst jedoch aber hauptsächlich für Verstorbene der Oberschicht. Zu diesem Zeitpunkt war es allerdings noch sehr umstritten persönliche Angelegenheiten zu veröffentlichen, wobei der Fokus in den Todesanzeigen damals eher auf einem wirtschaftlichen Interesse beruhte. Mit der Schaltung der Anzeige in einer Tageszeitung sollten andere Geschäftsmänner über gesellschaftliche und firmenbezogene Veränderungen nach dem Tod einer Geschäftsperson schnell informiert werden, um den Handel ggf. zeitnah umstrukturieren zu können (Stöhr 2014: 37). Daher standen die Todesanzeigen auch im Wirtschaftsteil der Tageszeitungen und auch heute werden noch Todesanzeigen von Firmen für verstorbene Mitarbeiter geschaltet. Die älteste, bekannte und deutschsprachige Todesanzeige ist ein einfacher Dreizeiler aus dem Jahre 1753 (ohne Rahmen, Symbole, Namen von Angehörigen, etc.).

Mit dem Ende des 18 Jahrhunderts gelang bei den Todesanzeigen auch endlich ein Durchbruch zu einem gesellschaftlich anerkannten Todesanzeigenformat. Ende des 19.Jhd. wurden die Totenfrauen in den städtischen Dienst aufgenommen und erlangten daraus folgend auch ein gesellschaftlich höheres Ansehen. Diese Veränderung ist dem Beginn der Kommerzialisierung der Bestattung insgesamt zuzuschreiben (Aykel, Beckert 2014: 432). Im Hinblick auf zukünftige Formate lässt sich vermuten, dass die Todesanzeige in der Tageszeitung an Bedeutung verlieren mag, da viele Menschen nicht mehr dort sterben, wo sie geboren oder aufgewachsen sind.  Die Gesellschaften sind stetig in Bewegung und wechseln die Wohnorte. Dazu kommt, dass sich durch Facebook und andere soziale Medien die Medialität der Todesanzeige erneut über die Zeit ändern kann, da eigenen Recherchen nach immer öfter „Gedenkgruppen/-Seiten“ von Verstorbenen geschaltet werden. Der Vorteil hier ist, dass Menschen erreicht werden können, die eine Todesanzeige in einer lokalen Tageszeitung nicht hätten sehen können.

Fazit

Zusammenfassend lässt sich innerhalb dieses Projekts festhalten, dass die Identifizierung eines Verstorbenen durch Fremdpositionierung/-darstellung und anhand vorgegebener, personenbezogener Eckdaten geschieht. Der Verstorbene hat in der Regel keinen Einfluss darauf, wie die Todesanzeige gestaltet werden soll. Dementsprechend wird die Selbst- und Fremddarstellung/-positionierung durch den Ersteller der Todesanzeige konstruiert und sagt somit nicht nur etwas über die Identität des Verstorbenen aus, sondern gegebenenfalls über alle erwähnten Personen und den Anzeigenersteller selbst.

Die Form und der Aufbau der Todesanzeige hängen einerseits von (sozio-) kulturellen und politischen Aspekten ab, aber auch von persönlichen Faktoren (die gleichzeitig auch als Legitimationsressourcen fungieren) wie der finanziellen und emotionalen Lage des Erstellers. Die Bedeutung und Form sind temporär und dynamisch, was zunehmend mit der Globalisierung und der Digitalisierung zu erklären wäre.

Literaturverzeichnis

  • Akyel, D. &. (2014). Pietät und Profit – Kultureller Wandel und Marktenstehung am Beispiel des Betsattungsmarktes. (66), S. 425-444. Abgerufen am 28. Mai 2019 von https://doi.org/10.1007/s11577-014-0276-3
  • Eckkrammer, E. M. (1996). Die Todesanzeige als Spiegel kultureller Konventionen: eine kontrastive Analyse deutscher, englischer, französischer, spanischer, italienischer und portugiesischer Todesanzeigen. Bonn: Romanistischer Verlag.
  • legacy.com. (01. 07 2019). The New York Times. Von https://www.legacy.com/obituaries/nytimes/ abgerufen
  • Möller, P. (2009). Todesnanzeigen – Eine Gattungsanalyse. Dissertation.
  • Stöhr, A. (2014). Die Todesanzeige im Wandel. Gattungsspezifische Analyse eines Kommunikationsmittels. Hamburg: disserta Verlag.

Über die AutorInnen

Kristin Jung und Jutta Maier studieren im Master Kommunikation und Fremdsprachen im Beruf mit der Vertiefung „Professionelle Kommunikation“ mit dem Sprachenschwerpunkt „Deutsch als Fremdsprache/Englisch als Fremdsprache“. Die AutorInnen waren TeilnehmerInnen des Seminars „Sprachliche Identifizierung und Zugangskontrolle“ im Sommersemester 2019 an der Universität Siegen.