Ein Stückche „Schoki“, ein „guter Tropfen“, ein „gutes Steak“ oder vielleicht doch lieber einen „gediegenen Joint“? Was wir als „Genuss“ empfinden und welche Genussmittel in unserer Gesellschaft als legitim gelten, ist oft vielschichtiger, als es auf den ersten Blick scheint. Es geht dabei nicht nur um persönlichen Geschmack, sondern um ein komplexes Zusammenspiel aus Sprache, Macht und sozialen Normen. In unserem Seminar „Was ist legitimer Genuss?“ haben wir uns genau diesen Fragen gewidmet. Unter der Leitung von Prof. Dr. Friedemann Vogel haben wir uns mit der linguistischen Diskursanalyse beschäftigt, um zu verstehen, wie Debatten über Genussmittel unsere Vorstellungen von „normal“ und „unnormal“ prägen und wie dabei gesellschaftliche Machtbeziehungen reproduziert werden.

Genuss: Mehr als nur persönlicher Geschmack

Was genau bedeutet es, zu genießen? Und wann wird aus Genuss plötzlich „Verschwendung“, „Missbrauch“ oder gar „Droge“? Diese Bewertungen sind keineswegs willkürlich, sondern das Ergebnis öffentlicher Aushandlungsprozesse. Medien, Politik, Wirtschaft und unsere soziale Herkunft spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie alle tragen dazu bei, sprachliche und bildhafte Zeichen zu formen, die unsere Vorstellung von Genuss maßgeblich beeinflussen.

Bittet man eine generative KI (hier: ChatGPT), ein Bild zu erstellen, das einen gedeckten Tisch mit Speisen und Gegenständen zeigt, wie er „für Wohlhabende typisch“ sein könnte, entsteht dieses Ergebnis.

Nehmen wir zum Beispiel das Thema Cannabis. Über viele Jahrzehnte hinweg wurde Cannabis in Deutschland weitgehend als illegale Droge stigmatisiert. Die öffentliche Kommunikation war geprägt von Begriffen wie „Sucht“, „Kriminalität“ und „Gesundheitsrisiken“. Diese Sprachbilder trugen dazu bei, eine klare Abgrenzung zu „legitimen“ Genussmitteln wie Alkohol zu schaffen. Mit der bevorstehenden Legalisierung von Cannabis sehen wir jedoch einen deutlichen Wandel im Diskurs. Plötzlich rücken Aspekte wie „Freiheit“, „Entspannung“ und „medizinischer Nutzen“ in den Vordergrund. Unternehmen positionieren sich, um den zukünftigen Markt zu bedienen, und Politiker*innen suchen nach Regulierungsmöglichkeiten. Dieselbe Substanz, aber ein sich wandelnder Diskurs – das zeigt, wie flexibel die Grenzen des „legitimen Genusses“ sein können.

Ähnlich auch beim Tabakkonsum. Während Zigaretten in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch als Symbol für Coolness, Freiheit und Emanzipation galten – man denke an ikonische Filmfiguren mit Zigarette oder die Werbung, die Tabak mit Erfolg und Abenteuer verband – hat sich der Diskurs massiv gewandelt. Heute dominieren in der öffentlichen Debatte Topoi wie „Gesundheitsgefahr“, „Passivrauchen“ und „Sucht“. Raucher*innen werden oft stigmatisiert, Rauchverbote in öffentlichen Räumen sind weit verbreitet. Doch auch innerhalb des Tabakkonsums gibt es feine Unterschiede, die auf habituelle und lebensstilistische Bedeutungen hinweisen. Die klassische Zigarette mag an Image verloren haben, aber Zigarren werden oft mit einem kultivierten, exklusiven Genuss in Verbindung gebracht, während Shishas oder E-Zigaretten als moderne, vielleicht weniger schädliche Alternativen beworben werden, die wiederum eigene soziale Rituale und Zugehörigkeiten schaffen. Die Konkurrenz zwischen diesen verschiedenen Tabakprodukten zeigt, wie auch innerhalb eines vermeintlich einheitlichen Genussmittels unterschiedliche Diskurse und Legitimationsstrategien wirken.

Bittet man eine generative KI (hier: ChatGPT), ein Bild zu erstellen, das einen gedeckten Tisch mit Speisen und Gegenständen zeigt, wie er „für Nicht-Wohlhabende typisch“ sein könnte, entsteht dieses Ergebnis.

Betrachten wir auch den Bierkonsum, der tief in vielen Kulturen verwurzelt ist und doch erstaunlich vielfältige Zuschreibungen kennt. Das „Feierabendbier“ im Schrebergarten steht für Gemütlichkeit und Entspannung. Das „Bier nach dem Sport“ symbolisiert Gemeinschaft und Belohnung. Historisch war Bier oft ein Grundnahrungsmittel, heute ist es ein Genussmittel mit breiter sozialer Akzeptanz. Doch auch hier gibt es signifikante Unterschiede, die an bestimmte Lebensstile oder soziale Milieus gebunden sind. Das „Standard-Pils“ aus dem Supermarkt wird vielleicht mit dem unkomplizierten, alltäglichen Konsum assoziiert. Demgegenüber steht die wachsende Szene der „Craft Biere“: Hier geht es um handwerkliche Braukunst, komplexe Geschmacksnuancen und eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Produkt. Craft-Bier-Trinker:innen positionieren sich oft als Kenner:innen, die Wert auf Qualität, Herkunft und Vielfalt legen. Sie bilden eine Art Gourmet-Nische“, die sich vom Massenkonsum abgrenzt und ihre eigene Fachsprache und Rituale entwickelt hat. Ein „Industriebier“ mag als „billig“ oder „Mainstream“ diskreditiert werden, während ein „IPA“ oder „Stout“ als „authentisch“ und „erlesen“ gilt – obwohl beides Bier ist. Diese Differenzierung verdeutlicht, wie sprachliche Zuschreibungen und soziale Praktiken bestimmte Genussformen aufwerten und andere abwerten können, wodurch soziale Hierarchien auch im Bereich des Bieres reproduziert werden.

Die Macht der Sprache verstehen

Genau hier setzt die Diskurslinguistik an. Sie untersucht, wie verschiedene Interessengruppen – seien es Parteien, Unternehmen oder soziale Bewegungen – mit sprachlichen Mitteln versuchen, ihre Deutungen und letztlich ihre Interessen durchzusetzen. Das geschieht durch die Wahl bestimmter Begriffe, Schlagwörter, Argumentationsmuster, Metaphern oder auch Bildmuster. Diskursanalytiker*innen möchten verstehen, wie Sprache unser Handeln, Denken und Fühlen beeinflusst und wie soziale Machtbeziehungen durch Kommunikation verfestigt oder verschoben werden. Im Seminar haben wir die Kernkonzepte der Diskursanalyse nicht nur theoretisch beleuchtet, sondern auch praktisch angewendet. In kleinen Studienprojekten haben Bachelor-Studierende Diskurse zu Themen wie Dubaischokolade, Cannabis, Fleisch und Wein untersucht. Die Ergebnisse dieser Projekte werden in den kommenden Beiträgen dieses Blogs dokumentiert.

Wir laden Sie herzlich ein, uns auf dieser Reise durch die vielschichtigen Diskurse des Genusses zu begleiten und selbst zu reflektieren: Was bedeutet Genuss für Sie, und welche Rolle spielen dabei die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen?